Wiederholung!

Na, kaum hab ich den Fernseher zum ersten Mal eingeschaltet, knallt es. Ich kann es eben noch. Uruguay schießt ins Tor, Salah sieht aus, als würde er gleich weinen und Suarez, na ja, der macht alles gleichzeitig. Ein echter Multitasker, so kennen wir ihn. Trifft, wird getroffen, weint, greift sich an sämtliche verfügbaren Körperteile, und versucht seinem Gegenspieler sicherheitshalber noch, in die Weichteile zu packen. Ich habe wohl versehentlich mein Aufnahmen-Archiv angezapft und sehe Bilder von der letzten WM. Halt, kann nichr sein. Seitdem habe ich von Vodafone bereits die fünfte neue Box, die Aufnahmen von letzter Woche sind futsch, natürlich auch die Erinnerungen an die letzte WM (und auch Dinner for One, verdammt).
Vor Beginn der Spiele habe ich mich noch hauptsächlich mit ethischen Fragen beschäftigt. Wie fühlt es sich wohl an, vor der WM aussortiert worden zu sein, und dennoch auf jeder Coladose aufzutauchen? Und dann auch noch dieser TV-Spot, in dem Jogi dir väterlich das Köpfchen tätschelt und was von Kommunkation faselt. Dabei hat er dir gerade gestern kommuniziert, dass er dich in Russland nicht brauchen wird. Nächstes Mal bestimmt, Talent und so, aber diesmal eben nicht. Ich würde jedes Mal Amok laufen. Auch Götze – der wohl freiwillig beziehungsweise unfreiwillig tragisch – beteiligt sich an dieser neuen Disziplin, den Post-Nachhausegeschicktwordensein-Public Relations.
Aber das ist jetzt vorbei. Stand jetzt habe ich Feierabend und kann mich dem absoluten Höhepunkt des heutigen Tages zuwenden. Marokko-Iran, für solche Spiele gibt es Weltmeisterschaften. Wen interessiert bitteschön so was wie Portugal-Spanien? Da spielen doch alle 22 auf dem Platz eigentlich sowieso für ein bis zwei Vereine und teilen sich die Auffahrt in die Luxusvilla und wahrscheinlich auch die Babysitter. Lang-wei-lig. Marokko-Iran, wartet auf mich!

Schwankend

Rooney schwankte im wahrsten Wortsinn. Sollte er nicht einen im Pausentee gehabt haben, sah man hier Panik in ihrer Urform. Da müssen die Isländer ihren Uh!-Haka nicht mal vor dem Spiel machen, es reichte ihr starrer, vollfokussierter Blick im Spielertunnel. Ähnlich wie der 2014er Gastgeber vor dem Brasixit dachten die Isolationisten von der Insel anscheinend nur daran, wie peinlich es wohl würde, wenn sie verlieren. Hätte nur noch gefehlt, dass sie bei der Nationalhymne ein Trikot von irgend einem in den zitternden Händen gehalten hätten, der nicht mehr im Turnier mitspielen konnte. Vielleicht das von David Cameron?

Apropos peinlich – gegen einen so solide spielenden Gegner zu verlieren ist keinesfalls peinlich. Wie so oft wird hier etwas verwechselt. Peinlich wäre er gewesen, wenn die Isländer schlecht gespielt hätten. Oder gar nicht. Doch mitnichten. Die anderen Insulaner haben wie schon im ganzen Turnierverlauf ihre – begrenzten – Mittel hervorragend eingesetzt. Sogar die Fouls waren eines wie das andere kalkuliert; nicht einer von dem gut einem halben Dutzend gelb-vorbelasteten Spielern muss im Viertelfinale aussitzen. Island hat frech die englischen Schwachstellen ausgenutzt, und die waren, bevor die Mannschaft in kollektive Schockstarre auf dem Platz verfiel, zunächst ganz eindeutig auf der Bank zu finden. Ist da keinem dieser Einwurf Einwurfsson aufgefallen? Das erste Thor, pardon, Tor, war zudem eine astreine Kopie des Tors gegen Österreich – frech von den Isländern, dämlich von den Engländern, dass sie mit so etwas nicht gerechnet haben. Und wie kann man einen sichtlich verunsicherten Rooney auf dem Platz lassen, von dem spätestens in der zweiten Halbzeit nichts mehr zu erwarten war? Oder einen Sturridge, der zum Ende hin nur noch genervt war von der isländischen Taktik, die Bälle über die Mittellinie zu knallen, egal, ob da noch einer von der eigenen Mannschaft steht. Da muss man einen bringen, der noch Lust hat zu rennen. So wie jeder einzige von den Isländern, die offensichtlich die beste Kondition aller Mannschaften im Turnier haben.

Taktik-Winner

Ja, klar, Deutschland hatte gestern mehr Chancen in einem Spiel als manch andere Mannschaft in einem gesamten Tournier und sie sträflich ungenutzt gelassen. Das war schwer zu ertragen und auch durch das gefühlte emotionale Dauerstreicheln des journaillistischen Kommentars nicht. Khedira war auch nur mittelprächtig unterwegs, generell hat sich das Mittelfeld eher durchschnittlich angestellt. Kimmich eine Entdeckung, das stimmt. Aber der echte Matchwinner, ich trau’s mich kaum zu sagen, war doch Jogi mit seiner Taktik. Gut reagiert hat er auf das Problem, dass im Angriff keinerlei Räume zu finden waren, indem er Kimmich und Hector anscheinend die Anweisung gegeben hat, maximal einen Zentimeter von der Außenlinie abzuweichen (Kimmich hat da nur halb zugehört) und plötzlich war das Spiel tatsächlich auf die ganze Breite des Platzes verteilt und es sah nicht mehr so aus, als hätten die Deutschen einen, zwei Mann weniger auf dem Platz als die Ukrainer und besonders die Polen.

So kann man auch gegen Mannschaften gewinnen, die sich konsequent hinten reinstellen, eine Taktik, die Kommentator Steffen Simon als kennzeichnend für „kein Fußballspiel“ betrachtet. Da muss ich ihm mal ausnahmsweise (not!!!) widersprechen. Wieso soll das kein Fußballspiel sein? Immer heißt es, es gibt keine Kleinen mehr, aber wir denken ja offensichtlich doch weiterhin, dass sich Mannschaften wie Nordirland und Albanien wie Kanonenfutter aufopfern sollen, tapfer kämpfen, ja, niedliche Fans haben, die noch zwanzig Minuten nach Spielende singen und tanzen, sehr gern, aber weiterkommen, auch noch, indem sie den Gegner vor die intellektuelle Aufgabe stellen, einen Weg durch die oft abschätzig so bezeichnete „vielbeinige Abwehr“ zu finden, das dürfen sie dann nicht. Aber wer sich nun mal für so eine EM qualifiziert hat (und das ja teilweise gar nicht mal mit dem Lokusdeckel in der Hand, sondern als Quali-Gruppensieger), bei der gleich vier Gruppendritte weiterkommen, der will die nächste Runde erreichen, auch wenn es dem einen oder anderen vielleicht wie Majestätsbeleidigung erscheint. Das hat etwas schwer Koloniales. Klar macht es mehr Spaß zu sehen, wie die Kroaten einem – zugegeben eher schwächelnden – großen Gegner wie Spanien mal zeigen wo der Hammer hängt. Aber jeder wie er kann, und die Turnierregeln haben die sogenannten Kleinen wie die Isländer ja nicht gemacht. Heul doch, sagen die mit Recht einem Christiano Ronaldo – der kann sich ja demnächst bei Jogi als Taktik-Azubi verdingen und sehen, wie man’s besser macht.

Das Warten hat ein Ende

Einer der vielen Vorteile einer Zweitligaverein-Anhängerschaft ist der frühe Start in die Saison. Na ja, okay, so richtig Saison ist noch nicht, aber immerhin das letzte Testspiel des 1. FC Union gegen Sevilla, bei brutalen Temperaturen und einer halb gefüllten Försterei.

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Da die Wuhleseite anscheinend gar nicht verkauft worden war und auch der Gästebereich leer blieb, ergab sich doch ein Gefühl angenehmer Nähe und laut genug wurde es auch. Das Spiel? Na ja. Ich befand mich noch ein wenig in Schockstarre ob der Nachricht, dass Torsten Mattuschka die Kapitänsbinde verloren hat – die lag jetzt um den Arm des sehr viel braveren Damir Kreilach, den das vielleicht hoffentlich wenigstens motiviert, seine Deutschkenntnisse upzudaten. Tusche jedenfalls übernahm es, den unterirdischen Schiri lautstark zusammenzufalten, als der fast 5 Minuten lang den kurz mal an der Seitenlinie behandelten Trimmel nicht zurück ins Spiel ließ. Wer weiß, vielleicht hatte dem jungen Mann noch keiner gesagt, dass man dafür nicht auf eine Spielunterbrechung warten muss?

Das Spiel also. Die erste Halbzeit vergessbar, erst nach der Pause kam ein wenig Tempo auf. Die Spanier hatten wohl den besseren Pausentee und Union zog mit. Dennoch insgesamt eher langsam; die Sevillaner sind immerhin noch Monate von ihrer Saison entfernt und entsprechend schwerfällig. Allerdings ballsicher und wenn sich eine Chance Richtung Unionen Tor ergab dann doch überraschend schnell. Union muss sich definitiv noch finden und auch spritziger werden, denn die Saison startet schon kommenden Sonntag gegen Karlsruhe. Die 3/5er Abwerkette funktionierte in der Verteidigung gut, aber das Umschalten nach vorne – oha. Das scheint ja doch schwieriger zu sein.

Tusche als hängende Spitze war extrem bemüht und hatte ein paar schöne Freistöße, aber er ist doch leider sichtbar schwerfälliger als der Rest der Mannschaft. Das wird schwer für ihn, wenn Brandy von seiner Verletzung zurückkommt. Skrzybski als einziger Stürmer rannte hin und her und bekam kaum einmal einen Ball. Für das erste Tor sorgte dann ein Mann, dessen Nachname den wenigsten Fans schon bekannt genug war, um ihn bei der Mannschaftsaufstellung  zu vervollständigen. So klang es eher nach „Bajram – murmelmurmelahemmurmel – Fußballgott“! Ein bisschen peinlich war das schon, aber es dürfte sich bald ändern, denn der Mann ist schnell, groß, und entschlossen. Und heißt Nebihi.

Für den Rest gilt, bemüht, aber noch viel zu brav. Raum für Verbesserungen gibt es reichlich. Endergebnis 2:1.

Misstrauensvotum

Meine Sympathien für den holländischen Fußball halten sich gemeinhin in Grenzen, aber gestern trotzte ich meiner bleiernen Müdigkeit immerhin so lange, um noch das Post-Match Interview mit dem niederländischen Torwart mitzubekommen, und der tat mir richtig, richtig Leid. Noch leider als die weinenden Brasilianer am Tag zuvor. Die wurden nach dem Spiel von ihren Gegnern liebevoll umarmt und waren immerhin Zeugen eines historischen Ereignisses. Letzteres wird sie kaum trösten, aber besser doch mitten in einer handfesten Katastrophe zu stehen als so ganz unspektakulär das Vertrauen entzogen zu bekommen und dann die Pleite auch noch selber ausbaden zu müssen.

Was war geschehen? Im Spiel zuvor entmachtete Louis van Gaal seinen Stammtorwart Jasper Cillessen und wechselte ohne dessen Wissen oder Einverständnis den angeblichen Elfmeterkiller und professionellen Unsympathen Tim Krul ein. Ein Trick, der in jenem Spiel funktionierte, jedoch nicht zweimal nacheinander anzuwenden ist. Hat wohl nicht mit einem weiteren Shootout gerechnet, der van Gaal. Gegen Argentinien musste er wohl oder übel Cillessen drin lassen. Eben noch der Torwart, der keinen Elfmeter halten kann, jetzt auf einmal derjenige, der den Einzug ins WM-Finale klarmachen soll.

Es kam, wie es kommen musste. Seine Kollegen verschossen ihre Chancen und Cillessen konnte nur mit versteinertem Gesicht realisieren, dass er nicht im Endspiel steht. Und er steht nicht nur nicht im Endspiel, er stand gestern ganz allein da. Nicht vor dem Elfmeterschießen – da kreiste dieser Krul um ihm herum wie ein Geier, machte andauernd Anstalten, als wolle er sich selbst einwechseln, und hatte ansonsten offensichtlich nichts produktives zur Situation beizutragen. Im Gegenteil – meine Mitguckerin konstatierte eine graue Wolke, die um ihn herumschwebte, und mit der er seinen vermeintlichen Kameraden quasi einhüllte. Das könnte ja nichts werden, meinte sie. Und sie behielt Recht. Und nach dem Elfmeterschießen hat niemand Cillessen in den Arm genommen und getröstet und gesagt, weißt du was, Jasper, nachher in der Kabine hauen wir zusammen dem van Gaal, diesem Missachter sportlichen Anstands, eine rein und stecken den Krul kopfüber in die Eistonne.

Kaninchen vor der Schlange

Das mit dem Denken nach einem solchen Abend ist so eine Sache. Fußballfreund Richard schüttelt wahrscheinlich immer noch langsam die Locken und murmelt etwas von „historisch“ und „das werdet ihr noch euren Enkeln erzählen.“ Da wird er wohl recht behalten. Ich konnte kaum Wiederholung von Livebild unterscheiden und musste zwischendurch noch auf Verlangen die Achtjährige kneifen, ob sie schon schläft, während der Fünfjährige wie ein Flummi durchs Wohnzimmer dotzte.

Aber was war da eigentlich passiert? Definitiv war das kein Problem des brasilianischen Angriffs, auch wenn da nur ein Törchen zu Buche steht. Neymar hin oder her, ein paar Angreifer haben die Brasilianer ja trotzdem. Erschreckend war die brasilianische Verteidigung, die durch Thiagos Abwesenheit natürlich wesentlich geschwächt ins Spiel gingen, aber sie hatte noch ein viel größeres Problem: Die Angst vorm Verlieren. Stümperhafte Fehler, Ballverluste en masse knapp vor dem Sechzehner, den Brasilianern stand die Panik quasi ins Gesicht geschrieben. Vor lauter „ohgottohgott, was ist, wenn wir das Ding hier verlieren“ vergaßen sie komplett, dass es beim Fußball darum geht, sich den Ball zu schnappen und ins gegnerische Tor zu befördern. Kroos sagte es nach dem Spiel, sie wirkten von Anfang an verunsichert (schon wie sie sich bei der Nationalhymne an Neymars Trikot klammerten hatte etwas zittriges) und da dachten sich die Deutschen wohl, nutzen wir das mal aus. Und sie gingen auch nach dem 5:0 nicht gnadenlos nach vorn – die Brasilianer luden sie einfach dazu ein, noch eins und noch eins zu machen.

Historisch indeed. Den Kollateralschaden – abgedotzter Schneidezahn nach schlecht gezieltem Bierflaschenansatz – lasse ich heute noch richten und dann sehen wir uns Sonntag wieder!

Deutschland-Ghana, oder, wo sind doch gleich wieder meine Bluthochdruckpillen?

Spiel auf fremdem Sofa geguckt, nach Hause gekommen, durchgeschnauft. Auf dem Heimweg in der U-Bahn umringt von CSD-Partyern, Fanmeilern, Fête de la Musiquern. In jeder Kombination. Knutschende dralle Lesben mit „Sommermärchenfortsetzer“-Aufdruck auf dem T-Shirt und 19-jährige Möchtegern-Hools, die zaghaft versuchen, ein S-Bahn-Hüpfen anzusetzen. Zu betrunken, um die Sache korrekt anzugehen. Außerdem waren wir ja nicht in der S-Bahn … Gary stellt die Gleichung auf, je weniger IQ umso größere Klappe. Als die Knapp-Über-Teenager-Alter Bande johlend am Alexanderplatz aussteigt, stimmt eine der Lesben einen launigen Stadiongesang an: „Auf Wiedersehen, Auf Wiedersehen.“ Zumindest war die anscheinend schon mal in einem Fußballstadion.
Heute die Nachlese. Im Radio, in der Presse Kritik an der deutschen Mannschaft. Zu schlapp, fehlende Ordnung, Jogi stellt die Falschen auf (Hummels) und wechselt zu spät (Schweinsteiger) und falsch (Mustafi). Keiner scheint bemerkt zu haben, dass da noch ein anderes Team auf dem Platz stand, das richtig gut Fußball spielte. Der verpasste Sieg der deutschen Mannschaft mag auch mit den Qualitäten des Gegners zu tun haben, aber es fällt hierzulande traditionell schwer, das auch nur zu erkennen. Fatale Mischung aus euro- bzw. germanozentrischer Überheblichkeit und der deutschen Tendenz zu meckern, wenn nicht alles perfekt war. Ich habe ein – zumindest in der 2. Halbzeit – sehr spannendes Spiel mit Chancen auf beiden Seiten und tollen Toren gesehen, das zwei Sieger verdient gehabt hätte. Klose rules! Und wenn er sich beim (leicht missglückten, wie süß!) Torsalto das Knie zerschmettert hätte, das wär’s trotzdem wert gewesen. Schweini mag nicht top in Form sein, formierte aber das Mittelfeld neu und brachte Ruhe in den zwischenzeitlichen Hühnerhaufen. Neuer überwand sich um ein Haar selbst. Hätte DER Aufreger werden können, aber da war ja so viel los, man bemerkte es kaum.
Kurz nach dem 2:2 wendet sich Zoe S. (8) zu mir um, fragt, glaubst du an Gott, dreht sich um und schläft ein. Leon S. (5) meint, er hätte ja nach dem ersten deutschen Tor gleich noch eins geschossen. Erzählt zum gefühlten hundertsten Mal von seinen zwei tollen Toren heute Nachmittag in der Kita. Nach dem Spiel schnappt er sich einen Fußball und versucht, von einem Zimmer ins andere zu schießen. Der dazugehörige Vater und Fußballkumpel kann sich zu keiner erzieherischen Maßnahme mehr durchringen, starrt fassungslos auf den Fernseher und versucht, mir Özil zu erklären. Der guatemaltekische Cousin messaged via facebook aus den USA, er habe eben auf ESPN die Försterei mit ihren Sofas gesehen.
Wir wenden uns schon mal vorsorglich dem kommenden Duell Deutschland-USA zu, das für viele nicht leicht werden wird. Klinsi hat schon angekündigt, beide Hymnen mitsingen zu wollen, was sicher hüben wie drüben zu einiger Verstimmung sorgen wird. Und die Sache auch nicht lösen. Donnerstagabend ca. 22:00 finden sich womöglich einige vor innerem Konflikt implodierte Körper auf den Sofas dieser Stadt …

Das Maracana-Trauma

Der nächste, der – auf welchem Kanal auch immer – was vom Maracana-Trauma der Brasilianer erzählt, bekommt von mir eine reingehauen. Ich hab’s kapiert!!! Vor langer langer Zeit wollten die Brasilianer schon mal die Weltmeisterschaft gewinnen (generell will man das ja nur im eigenen Land, oder?) und haben es nicht geschafft. Bu-hu. Ein anderes Land – unverschämt!!! – hat sie besiegt. In einem brasilianischen Stadion. Ach was, heimisches Stadion. Im Fußballtempel Maracana. Gotteslästerung! Versteh ich auch alles, hat ja schließlich jeder sein Cordoba. Aber muss jedes Mal, wenn sich eine andere Mannschaft, oder ein Journalist, oder eine verdammte Möwe diesem Stadion nähert, irgendein faltiger alter Mann aus seiner Seniorenresidenz gezerrt und dazu befragt werden? Ich beantworte diese Frage mal für euch: Nein!

Es grenzt an Menschenrechtsverletzung, wenn ein dunkel gefärbter Sylvie-van-der-Vaart-Klon ihren Opi vor die Kamera zerrt – der war nämlich dabei – und ihn fragt, wie schlimm es denn war. Während der noch etwas auf brasilianisch sagt und sie flott übersetzt, dass es sehr schlimm war und immer noch wehtut, schwenkt die Kamera leicht nach rechts und die brünette Sylvie fragt einen zweiten alten Herrn – der war nämlich dabei – wie schlimm es war. Der sagt was auf brasilianisch und – Achtung – Sylvie II deutscht ein, dass es sehr schlimm war und immer noch wehtut. Und weil es so schlimm war, der Brasilianer aber eigentlich nicht lang traurig sein kann, schlappt justament eine günstig positionierte Sambaband vorbei und schlägt, wie solche Combos das zu tun pflegen, einen flotten Rhythmus an. Dunkle-Barbie-Sylvie springt auf und beginnt zu tanzen. Opi und sein Kumpel starren ihr auf den Hintern, mit dem gleichen Gesichtsausdruck wie dem, der eben noch das Maracana-Trauma dokumentiert hat. Ich will nicht wissen, was sie sagen würden, wenn sie jetzt jemand was fragen würde. Tut auch keiner.

Dr. Felix Brych

Ja, es wird Fußball gespielt in Brasilien, aber ehrlich. Es gibt wichtigere Dinge. Und die haben einen Namen. Dr. Felix. Brych.

Natürlich brauchen selbst die wichtigsten Dinge der Welt jemanden, der sie uns zeigt. Tom Bartels, im Nebenberuf Jünger, hatte eigentlich den Auftrag, ein Fußballspiel zu kommentieren. Uruguay v. Costa Rica. Die Mannschaften musste ich eben nochmal schnell nachgucken, doch sie sind nicht wichtig. Denn Tom verwandelte die Partie zielsicher in einen Gottesdienst. Was ist dieses Urugay, das aussieht wie Argentinien mit schwarzen Hosen? Was soll Costa Rica, außerhalb des Costa Rica-Kenya-Blends? Wenn auf dem Platz Dr. Felix Brych steht? Oder, wie ihn seine Freunde nennen, Dr. Brych.

Bei Tom wurde die Partie zum Test deutscher Primärtugenden. Dr. Felix Brych. Er ist deutsch. Er ist toll ausgebildet. Er hat die Übersicht. Er fällt ein zuverlässiges Urteil. Er sieht umwerfend aus in Gelb. Niemand versprüht Rasierschaum so schnörkellos wie er. Und, da ist sich Tom sicher, er kennt die Zukunft. Denn das Frustfoul von Maximiliano Pereira hatte Dr. Felix Brych natürlich vorhergesehen.

Nur kurz wurde Tom in seiner Verliebtheit ein wenig aus der Spur getragen, nämlich als Dr. Felix Brych möglicherweise einen millimeterweit im Abseits stehenden Costa Ricaner übersehen hatte, der prompt einlochen konnte. Doch schnell hatte Tom sich wieder im Griff, schob die Verantwortung auf den Linienrichter – auch der deutsch, gut ausgebildet, etc, aber aus Zossen.

Ich kann nur noch hoffen, dass die deutsche Mannschaft die Gruppenphase nicht übersteht. Und dass Tom sich ob seines momentanen Zweifels an Dr. Felix Brychs himmlischer Urteilskraft nicht doch später am Abend aus seiner Reporterkabine gestürzt hat, denn er hatte Pereiras Ansatz, seinen Gegenspieler ein Bein kürzer zu machen zunächst als Versuch gewertet, den Ball zu spielen. Hoffentlich hat Tom in diesem Fall wenigstens im Testament verfügt, dass Mehmet Scholl seinen Kommentatorenjob übernimmt. Denn auch der ist Dr. Felix Brych hoffnungslos verfallen und steht total auf den „Herrn im Ring“. Ich möchte jedenfalls noch öfter ins Bett gehen mit dem Echo eines Namens in meinen Ohren.

Dr. Felix Brych. Dr. Felix Brych. Dr. Felix Brych …